Die Rolle der
United Nations Organization (UNO) – Organisation der Vereinten Nationen
im Kolonialkonflikt um die Westsahara
Zu den Hauptinstitutionen (main bodies) der Vereinten Nationen (United Nations: UN) gehören die Generalversammlung (General Assembly: GA), der Sicherheitsrat (Security Council: SC), das Sekretariat mit dem Generalsekretär (Secretary General: SG) an seiner Spitze sowie der Internationale Gerichtshof (International Court of Justice: ICJ): All diese Institutionen sind bzw. waren mit der Westsahara befasst.
Bereits am 14. Dez. 1960 hatte die GA die völkerrechtlichen Prinzipien jeder Dekolonisation mit ihrer Resolution 1514 festgelegt, worin allen Völkern fremdverwalteter Gebiete (Non-Self-Governing Territories) das Selbstbestimmungsrecht zuerkannt und Maßnahmen verlangt wurden, „…ihnen zu gestatten, völlige Unabhängigkeit und Freiheit zu genießen“ (http://www.un.org/en/decolonizatio/declaration.shtml)
1960 war die Liste dieser fremdverwalteten Gebiete noch lang; heute umfasst sie immerhin noch 17 Gebiete, von denen die Westsahara das größte und mit 531.000 Einwohnenden das bevölkerungsreichste und letzte Gebiet in Afrika ist (http://www.un.org/en/decolonization/nonselfgovterritories.shtml). Und damals war die Westsahara noch durch Spanien fremdverwaltet, das seit 1965 immer wieder zur Dekolonisierung gemäß Resolution 1514 aufgefordert wurde. Aber Spanien dachte überhaupt nicht daran, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen (s. Artikel: Frente POLISARIO / DARS).
Dies änderte sich erst 1974 Jahre als Diktator Franco bereits im Sterben lag: Plötzlich ließ Madrid verlauten, nun doch ein Referendum über die Selbstbestimmung in Erwägung zu ziehen, was gegen Ansprüche vor allem des nördlichen Nachbarn, des Königreichs Marokkos, zielte. Um Zeit zu gewinnen, rief Marokkos König Hassan II den ICJ an, der allerdings am 16. Oktober 1975 die territorialen Ansprüche sowohl seitens Marokkos als auch Mauretaniens über die Westsahara als unbegründet zurückwies. Dies hinderte allerdings Hassan II nicht daran, am Tag darauf „seinem lieben Volk“ zu verkünden, dass der ICJ Marokko in allen Punkten Recht gegeben hätte: Und das glauben viele Marokkanerinnen und Marokkaner bis heute noch!
Für Hassan II war die Westsahara mittlerweile zur (politischen) Überlebensfrage geworden: Bereits zweimal hatte seine Armee gegen ihn geputscht; und allen Anschlägen war er wie durch ein Wunder entkommen. Vor diesem Hintergrund entschied sich Hassan, die nationalistische Karte eines Groß-Marokkos (s. Abb.) auszuspielen, das neben weiten Teilen Algeriens, den Nordwesten Malis, die gesamte Westsahara und Mauretanien mit einschloss, und sich als „nationaler Befreier“ feiern zu lassen. Mit einem Krieg fern ab vom Serail konnte er die Armee beschäftigen und den Generalen das zu erobernde Land in Teilen als Beute überlassen.
Aber Hassan wäre nicht Hassan gewesen, wenn er dies nicht mit einem besonderen PR-Coup inszeniert hätte: Anfang November 1975 ließ er tausende Ärmste der Armen mit Koran und marokkanischer Nationalflagge die Grenze zur Westsahara überschreiten: Während die internationalen Medien auf diesen „Grünen Marsch“ starrten, stießen marokkanische Panzerverbände bis 200 km in die Westsahara vor. Spanien ließ den Einmarsch gewähren, während Kämpfer der Frente POLISARIO sich erste Gefechte mit den waffentechnisch weit überlegenen Invasoren lieferten. Eine Verurteilung Hassans im SC verhinderten Frankreich und die USA. Beide Mächte waren es auch, die Spanien drängten, am 14. November 1975 das völkerrechtswidrige Abkommen von Madrid zu unterzeichnen, das eine Aufteilung der Spanischen Sahara zwischen Marokko und Mauretanien vorsah.
Zwar forderten sowohl SC als auch GA seit 1975 Marokko, das nach dem Rückzug Mauretaniens 1979 das gesamte Gebiet zu annektieren versuchte, immer wieder zum Truppenabzug auf, doch Hassans beste Freunde in Paris und Washington ließen ihn letztendlich gewähren. Zwar blieb die GA auch weiterhin mit der Westsahara befasst, die entscheidende Verantwortung aber liegt beim SC, der erst 1988 auf Drängen der Organisation für Afrikanische Einheit (Organization of African Unity: OAU), Vorgängerin der Afrikanischen Union (AU), mit seiner Resolution SC/621 den SG aufforderte, einen Plan für die Dekolonisierung der Westsahara mittels eines Referendums zu erstellen.
Fast drei Jahre später am 19. April 1991 setzte der SC mit seiner Resolution SC/690 die Mission der Vereinten Nationen für ein Referendum in der Westsahara (Misión de las Naciones Unidas para el Referendo en Sáhara Occidental: MINURSO) ein: Bis heute – ohne Ergebnis!
MINURSO ist eine von z. Zt. 16 UN – Friedensmissionen (UN Peacekeeping) und die längste der neun Missionen in Afrika. Wesentlicher Grund für die bisherige Erfolglosigkeit und damit verbundene Dauer dürfte das erste der drei Grundprinzipien von Friedensmissionen sein:
- Konsens der Konfliktparteien
- Unparteilichkeit
- Keine Gewaltanwendung außer im Fall der Selbstverteidigung und der Verteidigung des Mandats.
Beim Westsahara – Konflikt handelt es sich um einen Kolonialkonflikt zwischen der Kolonialmacht, dem Königreich Marokko, und der kolonisierten saharauischen Bevölkerung, völkerrechtlich vertreten durch die Frente POLISARIO, und somit um einen „asymetrischen“ Konflikt zwischen völlig verschiedenen Parteien: Wie soll da „ein Konsens“ aussehen?
Marokko konnte – in bisher nie enttäuschtem Vertrauen in die Vetomächte Frankreich und USA – die „Konsensfalle“ stets zu seinen Gunsten nutzen:
- Bereits 1981 stimmte es unter dem erheblichen militärischen Druck der Frente POLISARIO einem Friedensplan der OAU zunächst zu, der die wesentlichen Elemente der späteren MINURSO enthielt, bis Zeit für den ersten Abschnitt der Schandmauer, auf den sukzessiv weitere folgten, gewonnen war.
- Während des Identifizierungsprozesses des Wahlkörpers blockierte Marokko den Abschluss, indem es auf die Aufnahme von „Berechtigten“ beharrte, deren Umfang den zunächst „konsensualen“ Wahlkörper um etwa das Doppelte übertraf. 2000 suspendierte schließlich der damals dritte SG (Kofi Annan), der mit der MINURSO befasst war, den Identifizierungsprozess und wies seinen Persönlichen Gesandten (Personal Envoy), den ehemaligen US-amerikanischen Außenminister James Baker, an, einen neuen Vorschlag zur Konfliktlösung zu erarbeiten.
- Auch hier ging das Spiel weiter wie bisher: Selbst den von Baker letztendlich als „dritten Weg“ vorgeschlagenen Plan lehnte Marokko ab, weil dieser dann doch noch irgendwann eine demokratische Entscheidung vorsah, die aus marokkanischer Sicht nicht zum gewünschten Ergebnis, nämlich die Bestätigung „der Marokkanität der Westsahara“, geführt hätte. Immer wieder spielte Marokko auf Zeit – und die UNO spielt noch immer mit!
Im Jahr 23 nach der Einrichtung der MINURSO hat der SC das „Friedensmissionsmandat“ um ein weiteres Jahr verlängert. Das wesentliche Element der Mission, die Durchführung des Referendums, wird überhaupt nicht mehr verfolgt. Die Mission beschränkt sich vor allem auf die Überwachung des beiderseitigen Waffenstillstands. Erneut konnte der SC sich nicht durchringen, die schweren Menschenrechtsverletzungen im Mandatsgebiet wenigstens zu beobachten und zu dokumentieren. Der jetzige Personal Envoy des SG, der US-Diplomat Christopher Ross, hat kein Mandat, einen neuen Lösungsvorschlag zu unterbreiten, sondern die Konfliktparteien zusammenzuführen und Gespräche zwischen ihnen zu moderieren.
Wie das aber in diesem asymmetrischen Kolonialkonflikt, wobei die ohnehin schon begünstige Partei auch noch ständig ihre Verhandlungsrichtung wechselt, funktionieren soll, weiß vielleicht nur der SG allein? Dabei geht es längst nicht nur um das Schicksal eines kleinen Volkes mit einer Gesamtbevölkerung in der Größenordnung Bremens, sondern um die Fähigkeit bzw. Unfähigkeit der Vereinten Nationen den Weltfrieden zu bewahren und um die Glaubwürdigkeit der „westlichen Werte“ wie Demokratie und Menschenrechte.